Die Last der Pandemie wiegt schwer. Auf der Seele, auf der Gesellschaft, aber vor allem auf den Menschen, die sich für lange Zeit, vielleicht unbestimmte Zeit, nicht mehr von ihrer Corona-Infektionen erholen. Die an einer bislang wenig erklärlichen abnormen Erschöpfung, der Fatigue, an Gedächtnis- und Wahrnehmungseinbußen leiden.
Etwa zehn bis elf Prozent der Covidkranken ergeht es so. Studien zufolge erhöht ein schwerer Krankheitsverlauf das Risiko, an den Spätfolgen zu leiden; gefeit aber sind Menschen, bei denen sich Corona lediglich als Schnupfen bemerkbar machte, nicht. Wen es trifft, entscheidet der Zufall. Oder?
Der Psychiater Paul Harrison von der Unversity of Oxford hat sich mit seinem Team auf die Suche nach Spuren der so schwer begreifbaren Beschwerden gemacht. Sie haben bei Menschen, die im Winter 2020/2021, der ersten Welle, an Corona erkrankten und schließlich Post Covid entwickelten nach Gemeinsamkeiten gesucht.
Und tatsächlich sind sie fündig geworden, schreiben sie in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins „Nature Medicine“ – ausgerechnet im Blut. Dort kursieren Proteine, deren Menge offensichtlich mit dem Risiko, sich auch über ein Jahr nicht von der Corona-Infektion zu erholen, korreliert. Das klingt zunächst banal, bedeutet aber nicht weniger, als dass man für Infizierte künftig einen Test zur Hand haben könnte, mit abschätzen kann, wie hoch die Gefahr der Patienten ist, Post Covid zu entwickeln.
An möglichen Risikofaktoren arbeiten sich Epidemiologen, Infektiologe, Neurologen und andere Mediziner der verschiedensten Disziplinen schon lang ab: Personen, deren Abwehrsystem geschwächt ist, haben sie festgestellt, gehören genauso wie Ältere, Übergewichtige oder Diabetiker zu jener Gruppe, die häufiger als andere an Post Covid erkranken.
Ebenso Patienten, deren Herzkreislauf-System angeschlagen ist, was aber oftmals mit Alter, Gewicht und Diabetes einhergeht. Offensichtlich zählen aber auch Menschen, deren seelische Verfassung in Unordnung geraten ist, die unter psychischen oder psychiatrischen Erkrankungen leiden, dazu. Und Frauen. Sie sind in allen gefährdeten Gruppen überrepräsentiert.
Warum das so ist, dafür gibt es mehr Theorien als Beweise. Der Berliner Neurologe und Forscher des Deutschen Zentrums für neurodegenerative Erkrankungen Harald Prüß konnte vor etwas mehr als einem Jahr Abwehrzellen, sogenannte Auto-Antikörper im Liquor, also dem Nervenwasser, identifizieren, die nach einer Covid-Infektion Nervenzellen attackierten.
Aber eben nicht bei jedem, sondern nur bei einem kleineren Teil der untersuchten Patienten. Man könne nicht einmal mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass stets die Corona-Infektion die Ursache der Beschwerden sei, sagt Peter Berlit, bis 2017 Chefarzt der Neurologischen Klinik am Alfried Krupp-Krankenhaus in Essen und heute Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Biomarker im Blut, wären also eine Erleichterung für Ärzte und wohl auch für die Patienten.
Die britischen Wissenschaftler wählten für ihre Untersuchungen einen recht pragmatischen Weg: Statt aktuell Infizierte über Monate und Jahre zu beobachten, durchstöberten sie die Krankenakten von 1.837 Patienten, die zwischen dem 29. Januar 2020 und dem 20. November 2021 mit Covid-19 in ein Krankenhaus im Vereinigten Königreich eingeliefert wurden.
Von diesen Patienten lagen einerseits Blutproben vor. Zum anderen standen die Ärzte sechs und zwölf Monate nach der eigentlichen Erkrankung noch mit ihren Patienten in Kontakt, hatten ihre Leistungsfähigkeit überprüft – sowohl die objektiv messbare, als auch die subjektiv empfundene. „Denn die mentale Erschöpfung und das Gefühl, Gedanken nicht mehr richtig fassen zu können, die viele Menschen beschreiben, lässt sich mit den standardisierten Kognitionstests der Neurologie oft nur schlecht bemessen“, sagt Berlit.
Aus den Blutproben wählten die Forscher sechs Werte, die mit kognitiven Einbußen etwa nach Schlaganfällen oder auch bei Alzheimer in Verbindung stehen. Da wäre etwa der Entzündungsmarker CRP für C-reaktives Protein oder die Zahl der Leukozyten und Blutplättchen und zwei Proteine namens Fibrinogen und D-Dimer, die ebenfalls mit Entzündungen und der Gerinnung des Blutes in Verbindung stehen.
Das Vorgehen ist durchaus plausibel. Denn auch bei Alzheimer, Schlaganfälle oder Demenzen spielen Entzündungsprozessen, beziehungsweise mit Gerinnungsstörungen des Blutes eine gewaltige Rolle. Und es passt zu einer weiteren Beobachtung. „Das Risiko eine Demenz oder Alzheimer zu entwickeln, ist nach einer Corona-Infektion deutlich erhöht“, sagt Peter Berlit. Auch diese Erkenntnis geht maßgeblich auf britische und US-Untersuchungen zurück.
Die Krankenakten von 18.000 Patienten
In New York fanden US-Forscher, dass Covid-Patienten, die stationär behandelt werden mussten, ein Niveau an Hirnverletzungsmarkern zeigten, die ebenso hoch oder sogar noch höher waren als bei Menschen, die an Alzheimer-Demenz erkrankt sind. Und selbst bei milden und asymptomatischen Krankheitsverläufen können milde chronische Entzündungen im Gehirn schwelen, die es schädigen.
Und das Team um Paul Harrison selbst konnte bereits vor einem Jahr zeigen, dass das Risiko für Schlaganfälle, Depressionen, Parkinson aber eben auch Demenz zwei Jahre und länger nach einer Covid-Infektion, die im Krankenhaus behandelt werden musste, erhöht bleibt.
Das alles gab den Forschern die Hoffnung eben unter solchen Blutparametern nach Auffälligkeiten zu suchen, die bei Entzündungsprozessen eine Rolle spielen. Und tatsächlich wurden sie fündig: So waren während einer Infektion zwar erwartungsgemäß alle Entzündungsparameter erhöht, stiegen die Fibrinogenwerte während aber besonders an, so litten die Patienten häufig auch nach einem Jahr noch an messbaren wie empfundenen Leistungseinbußen.
Lag D-Dimer-Protein in hohen Konzentrationen vor, berichteten die Patienten von ihren subjektiv empfundenen Beschwerden – ebenfalls sowohl nach sechs als auch nach zwölf Monaten.
Um zu prüfen, ob die Ergebnisse auch außerhalb dieser Gruppe von Patienten galten, wertete das Team um Paul Harrison zudem die Krankenakten von fast 18.000 US-Patienten aus. Verglich deren Laborwerten mit ihrem Befinden nach der akuten Infektion und auch mit Daten von Patienten vor der Pandemie.
Und tatsächlich konnten sie ihre Daten weitgehend bestätigen. Für die Coronaforscher Emanuel Wyler vom Max-Delbrück-Zentrum sind das hoffnungsvolle Ergebnisse, „weil man ja langsam das Phänomen zu fassen kriegen muss“, sagt er. Allerdings zeigt er auch die Limitierungen der Studie auf. „Es sind hospitalisierte und ältere Patienten“, sagt er.
Das mache es schwer die Ergebnisse auf die jüngeren Post-Covid-Patienten zu übertragen, die akut meist nur mild erkrankt sind. Auch erklären die Werte alleine noch nicht den Mechanismus, der hinter dem belastenden Phänomen steckt. Die Autoren der Studie diskutieren zwar, dass das Fibrinogen selbst ins Gehirn gelangt, eine Kette von Immunreaktionen auslöst und so auch die Alzheimer-Krankheit antreiben könnte, doch das sind Hypothesen.
Für den Neurologe Peter Berlit ist noch ein weiterer Punkt wichtig: „Die Biomarker wurden bei akut Coronakranken gefunden, doch die Patienten, die wir jetzt sehen, haben die Infektion längst hinter sich, für sie bieten sie keinen Hinweis, ob oder wie lange diese noch krank sind“, sagt er. Doch in der Zwischenzeit könnte ihre Erkenntnisse vielleicht helfen, Behandlungsstrategien zu verbessern.