Die Herpes-Enzephalitis an Mini-Hirnen erforschen

Das Herpes-simplex-Virus-1 verursacht mitunter Gehirnentzündungen. Ein entzündungshemmendes Mittel mit einem antiviralen zu kombinieren, könnte in dieser gefährlichen Situation helfen. Das berichten Forschende des Max Delbrück Centers in „Nature Microbiology“.

Rund zwei Drittel der Menschen tragen das Herpes-simplex-Virus-1 in ihren Nervenzellen. Dort überdauert es quasi schlafend, bis Stress oder eine Verletzung das Virus wecken. Wird es aktiviert, sind die Symptome meistens mild und beschränken sich auf Bläschen oder Entzündungen an den Lippen.

Wandert das Virus aber zu den Nervenzellen im Gehirn, kann es dort eine lebensbedrohliche Gehirnentzündung auslösen. Das passiert zwar sehr selten, dennoch gibt es etliche Betroffene: Etwa fünf bis 15 Prozent aller viraler Hirnentzündungen bei Kindern und Erwachsenen entstehen so. Ärztinnen und Ärzte verschreiben ihnen dann meist ein antivirales Mittel namens Acyclovir. Dennoch bleiben bei vielen Patienten langfristig Schäden zurück: Sie leiden unter schwerem Gedächtnisverlust, an Krampfanfällen und anderen kognitiven Problemen.

Eine Kombinationstherapie aus einem antiviralen und einem entzündungshemmenden Mittel könnte die Prognose der Patienten verbessern, wie eine neue Studie in „Nature Microbiology“ nahelegt. Forscher vom Max Delbrück Center in Berlin haben diese Entdeckung mithilfe eines dreidimensionalen Gehirn-Modells gemacht, das sie aus Stammzellen produziert haben. Solche Organoide finden gerade ihren Weg aus der Grundlagen- in die klinische Forschung.

„In diesen Proto-Gehirnen kommunizieren Tausende Neuronen synchronisiert miteinander. So sind wichtige Experimente möglich, die noch vor ein paar Jahren gescheitert wären“, sagt Prof. Nikolaus Rajewsky, der Direktor des Berliner Instituts für Medizinische Systembiologie des Max Delbrück Center (MDC-BIMSB) und Letztautor der Studie.

Dr. Agnieszka Rybak-Wolf, die Leiterin der Organoid-Plattform am Max Delbrück Center und eine der Erstautoren, hat die Organoide herangezogen – bis es etwa 0,5 Zentimeter kleine weiße Kügelchen waren. „Hirn-Organoide sehen ein bisschen wie kleine Wolken aus Gewebe aus“, sagt sie.

Im Fall von Herpes-Infektionen näher an der Realität

Ohne Organoide kann man nur schwer analysieren, wie eine durch HSV-1 verursachte Gehirnentzündung verläuft. Das Virus infiziert nur Menschen – und an Proben aus dem Gehirn von Patienten zu kommen, ist nur in Ausnahmefällen möglich. Stattdessen haben Wissenschaftler bisher die Krankheit mithilfe von Nervenzellen in der Petrischale untersucht. Oder sie nutzen Mäuse, die jedoch normalerweise gar keine Träger des Virus sind.

„Organoide sind im Fall von Herpes deutlich näher an der Wirklichkeit als alles, was uns bisher zur Verfügung stand“, sagt Dr. Emanuel Wyler, ebenfalls einer der Erstautoren. Der Systembiologe hat sich auf Viren spezialisiert und untersucht in der Arbeitsgruppe von Prof. Markus Landthaler die molekularen Mechanismen im Laufe einer Herpes-Infektion.

Herpes-Virus (weiß) breitet sich im Organoid aus und zerstört die Auskleidung eines Ventrikels, also das Neuroepithel. Die Zellkerne sind blau zu sehen, das Neuroepithel ist grün angefärbt. (Quelle: © Dr. Agnieszka Rybak-Wolf, Max Delbrück Center)

Die Wissenschaftler haben die Organoide zunächst mit HSV-1 infiziert. Während das Virus wütete und die Mini-Hirne zerfielen, färbte das Team Neuronen und Neuroepithel an und machte das Schicksal der Zellen sichtbar. „Da sind wunderschöne Mikroskopie-Bilder entstanden. Sie machen sehr deutlich, was wirklich im Gewebe passiert“, sagt Wyler.

Mithilfe von Einzelzellanalysen konnten die Forschenden molekulare Signalwege identifizieren, die während einer Infektion eingeschaltet sind. „Der Ansatz zeigt ganz neutral – unabhängig von unseren Hypothesen – alle Signalwege und Gene, auf die es ankommt“, sagt Dr. Ivano Legnini. Der Systembiologe hat in Rajewskys Arbeitsgruppe geforscht und ist ebenfalls einer der Erstautoren. „Wir setzen auf die Systembiologie.“

Ein Signalweg, der während einer Entzündungsreaktion wichtig ist, war besonders aktiv: TNF-α. Behandelten die Forschenden die Organoide mit der Standardtherapie Acyclovir, vermehrte sich das Virus zwar nicht mehr. Das Gewebe nahm jedoch trotzdem Schaden. Die weitere Analyse zeigte, dass der Signalweg trotz Therapie eingeschaltet war.

Wenn die Abwehr Schaden verursacht

„Dieser Entzündungssignalweg ist wichtig für die natürlichen Abwehr gegen das Virus“, erkärt Dr. Tancredi Massimo Pentimalli. Der Arzt macht gerade seinen PhD in Systembiologie in Rajewskys Arbeitsgruppe. „Aber wenn wir die Virusreplikation mit antiviralen Mitteln unterbinden, kann eine überschießende Entzündungsreaktion entstehen und stattdessen Schaden anrichten.“

Rybak-Wolf behandelte die Organoide schließlich mit einem antiviralen und einem entzündungshemmenden Mittel, das den TNF-α-Signalweg abschalten konnte. Diese Kombinationstherapie konnte die Mini-Hirne vor Schäden bewahren. „Es gibt also einen Signalweg im Gehirn, der während der Infektion aktiv ist – wenn wir ihn mit den beiden Wirkstoffen abschalten, wird das jeweilige Organoid nicht geschädigt“, sagt sie.

Die Wissenschaftler hoffen, dass Ärzte nun die Kombination aus Acyclovir und einem entzündungshemmenden Mittel als Therapieoption bei HSV-1-Enzaphalitis ausprobieren. „Ich hoffe, dass unsere klinischen Kollegen die Wirksamkeit der neuen Kombinationstherapie in Studien mit Patienten mit Herpes-Enzephalitis evaluieren und letztlich unsere Erkenntnisse vom Labor in die Klinik bringen“, sagt Pentimalli.

Über
Rybak-Wolf A et al. Modeling herpes simplex virus 1 infection in cerebral organoids reveals new potential therapeutic approaches for viral encephalitis“. Nature Microbiology, 22. Juni 2023
Quelle
Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft
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